Deine Kindheit erzieht mit – ob du willst oder nicht
Wir reagieren auf unsere Kinder oft mit denselben Mustern, die wir selbst erlebt haben. In diesem Artikel erfährst du, warum alte Kindheitserfahrungen unser Erziehungsverhalten steuern – und wie du sie erkennst, verstehst und Schritt für Schritt veränderst, um authentisch zu reagieren.
Darum geht es in diesem Artikel
warum wir oft so reagieren, wie wir selbst behandelt wurden
wie alte Kindheitsmuster Wut, Schuld oder Frust im Elternalltag triggern
Beispiel Oskar: Wenn das Kind nicht isst – und alte Strafen mitschwingen
wie du unbewusste Reaktionen erkennst und bewusst neue Wege wählst
warum Selbstreflexion kein Luxus, sondern echte Elternkompetenz ist
praktische Schritte, um Trigger in Wachstum zu verwandeln
Bonus: Drei Coaching-Fragen, die dich sofort klarer reagieren lassen
Wenn alte Geschichten plötzlich laut werden
Neulich erzählte mir ein Vater in der Praxis: „Ich wollte nur, dass mein Sohn sein Gemüse isst – und plötzlich hab ich mich angebrüllt wie mein eigener Vater damals mich.“
Er lachte, aber seine Augen sagten: Das war nicht lustig.
Wir alle kennen solche Momente. Situationen, in denen das Kind in uns das Steuer übernimmt. Wir wollten ruhig bleiben, vernünftig, empathisch – und zack, stehen wir da wie unsere Eltern im Jahr 1985, mit hochrotem Kopf und flammender Überzeugung, dass jetzt endlich mal gehört werden muss, wer hier das Sagen hat.
Wie kann das sein? Warum wiederholen wir Muster, die wir eigentlich überwinden wollten?
Genau darum geht es hier: um das leise Echo der eigenen Kindheit – und darum, wie du es in Musik verwandelst, statt in Lärm.
Alte Muster, neue Bühne
Unsere Erziehung ist selten frei von Vergangenheit.
Die Stimme, die du manchmal im Kopf hörst – „Jetzt reicht’s aber!“ – ist oft nicht deine. Sie gehört einer Generation früher.
Das Gehirn speichert emotionale Erfahrungen tief. Vor allem jene, in denen wir uns klein, beschämt oder ohnmächtig fühlten. Wenn dein Kind dich heute mit ähnlichen Gefühlen konfrontiert, springt dieses alte Programm an.
Der Vater Oskar aus meiner Praxis reagierte jedes Mal mit Wut, wenn sein Sohn das Essen verweigerte. Erst als er verstand, dass er selbst als Kind für genau dieses Verhalten bestraft wurde, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Er verteidigte als Erwachsener die Seite seiner damaligen Eltern, nicht die seines heutigen Kindes.
Gefühle sind Echos, keine Gegner
Wut, Scham, Hilflosigkeit – das sind keine Fehler. Es sind Erinnerungen in Bewegung.
Das Gehirn schützt uns, indem es alte Emotionen abruft, sobald eine Situation an etwas erinnert, das früher wehgetan hat.
Aber wir können lernen, diese Echos zu erkennen.
Mini-Tool:
Wenn du merkst, dass dich etwas überproportional aufregt, stell dir kurz vor, du drückst auf „Pause“.
Atme. Frag dich:
„Reagiere ich auf mein Kind – oder auf mein eigenes inneres Kind?“
Schon dieser Moment schafft Abstand. Du verlässt den Autopiloten und kommst wieder in bewusste Führung.
Exkurs: Wie Kinder unsere Trigger spiegeln
Kinder haben eine faszinierende Superkraft: Sie halten uns einen Spiegel hin – oft ungeschminkt, manchmal gnadenlos ehrlich.
Ein Junge sagte einmal zu seiner Mutter: „Du redest immer von Ruhe, aber deine Augen sind laut.“
Bämm.
Kinder spüren unsere unbewussten Spannungen schneller, als wir sie selbst wahrnehmen. Sie spiegeln sie durch Verhalten: Rückzug, Wut, Trotz oder übermäßige Anpassung.
Das ist kein böser Wille, sondern ein Kommunikationsversuch auf emotionaler Ebene. Sie zeigen uns, was in uns selbst unruhig ist.
Wenn wir das erkennen, können wir aufhören, das Verhalten zu bekämpfen, und anfangen, die Botschaft zu verstehen.
Innere Kindheit trifft heutige Realität
Elternsein ist oft ein Crashkurs in Selbstbegegnung.
Kinder drücken genau die Knöpfe, die wir lange verdeckt hielten. Sie bringen uns in Kontakt mit alten Themen: Macht, Ohnmacht, Nähe, Ablehnung.
Das ist kein Drama, sondern eine Einladung.
Denn in der Wiederholung liegt die Chance auf Heilung.
Wenn du heute anders reagierst als deine Eltern damals, unterbrichst du den Zyklus – und dein Kind bekommt ein neues Drehbuch.
Ich erinnere mich an eine Mutter, die immer wieder in Schockstarre fiel, wenn ihr Sohn laut wurde. Erst als sie sich erinnerte, wie ihre eigene Mutter auf Wut reagiert hatte – mit Strafe und Schweigen – verstand sie: Mein Körper erinnert sich an damals. Von da an stellte sie sich neben ihren Sohn, atmete bewusst und blieb.
Ihr Sohn beruhigte sich schneller. Sie später auch.
Schritt für Schritt raus aus dem Muster
Beobachte: Wann triggert dich dein Kind besonders?
Erinnere: Welche Erfahrungen klingen da an?
Erkenne: Das ist meine Geschichte, nicht seine.
Reagiere neu: Sag dir innerlich: „Ich bin erwachsen. Ich kann jetzt anders.“
Feiere kleine Fortschritte: Veränderung zeigt sich zuerst im Sekundenbereich.
Das ist kein einmaliger Akt, sondern ein Muskel, den du trainierst. Und jeder Versuch zählt.
Mini-Anekdote aus dem Coaching
Eine Mutter erzählte mir, sie verliere „immer die Fassung“, wenn ihr Sohn auf der Couch hüpft. Als wir tiefergingen, kam heraus: In ihrer Kindheit war genau dieses Verhalten streng verboten – die Couch war das Heiligtum ihrer Mutter.
Als sie das begriff, lachte sie: „Ich bin also wütend auf ein Möbelstück aus den Achtzigern!“
Seitdem sagt sie, wenn ihr Sohn hüpft: „Mach’s kurz und dann Kissenparty!“ – und siehe da, beide lachen.
Manchmal ist Bewusstsein der Anfang von Humor.
Drei Coaching-Fragen für deinen Alltag
Wann fühle ich mich in der Elternrolle plötzlich klein oder ohnmächtig?
Welche Szene aus meiner Kindheit erinnert mich an diese Situation?
Wie möchte ich reagieren, wenn mein Kind später in derselben Lage ist?
Schreib deine Antworten auf. Es geht nicht um Perfektion, sondern um Bewusstsein.
Fazit – Deine Kindheit ist kein Urteil, sondern dein Lehrbuch
Wir alle tragen alte Kapitel in uns. Aber du bist heute die Autorin deines neuen Familienbuchs.
Jedes Mal, wenn du innehältst statt explodierst, schreibst du ein anderes Ende.
Deine Kinder müssen nicht erleben, was du erlebt hast.
Sie dürfen erleben, wie Heilung aussieht.
Das ist Elternschaft in ihrer schönsten Form: nicht perfekt, aber bewusst.
Und das reicht – mehr als genug.
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